Abschnittsübersicht

    • Personen aus dem Forschungsfeld werden mündlich befragt. Es werden Texte durch Kommunikation erhoben.
      Das Vorgehen hängt von der Fragestellung ab: „So viel Offenheit wie möglich, soviel Strukturierung wie nötig.“ (Helfferich, 2011).

      Das Prinzip der Offenheit bedeutet Offenheit der Forschenden gegenüber

      1. den Untersuchungspersonen,
      2. den Untersuchungssituationen und
      3. den Untersuchungsmethoden. 

      Qualitative Sozialforschung versteht sich im Gegensatz zur quantitativen Vorgehensweise nicht als Hypothesen prüfendes, sondern als Hypothesen generierendes Verfahren. Qualitativ Forschende versuchen also nicht Theorien, Konzepte oder Ideen an der Wirklichkeit zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern Neues zu entdecken. Der Hypothesenentwicklungsprozess wird bei der Anwendung qualitativer Verfahren damit erst zu Ende des Forschungsvorhabens abgeschlossen. Die Forschenden sollen daher so offen wie möglich gegenüber neuen Entwicklungen sein, damit diese auch in die Hypothesengenerierung einfließen können.

      Die Forschenden sollen offen für mögliches Neues sein und sich nach Möglichkeit auch nicht vorab informieren, d.h. sehr bewusst mit einer naiven Haltung ins Feld gehen.

      Im Mittelpunkt qualitativer Interviews steht die Frage, was die befragte Person als relevant erachtet.

      Mögliche Formen:
      Leitfadeninterview, Expert_inneninterview, Narratives Interview

      Passende Auswertungsmethoden

      Themenanalyse, Inhaltsanalyse, Dokumentarische Methode (DM), Rekonstruktiv- hermeneutische Methode

      Ressource

      Aghamanoukjan, A., Buber, R., Meyer, M. (2009). Qualitative Interviews. In: Buber, R., Holzmüller, H. Qualitative Marktforschung: Konzepte - Methoden - Analysen. Wiesbaden: Gabler: 415-436.
      Froschauer, U., Lueger, M. (2003). Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien: Facultas.

        • Beim Leitfadeninterview wird die Erzählperson zu einer Liste von Themen befragt. Das Gespräch wird grundsätzlich flexibel geführt, orientiert sich aber an einer Liste von Themen, die sich aus der/den Forschungsfrage/n ergeben.

          Die Strukturierung des Gesprächs erfolgt anhand eines Leitfadens. Die Fragen müssen offen, erzählgenerierend und hörer_innenorientiert formuliert sein.

          Die Erzählperson soll nicht „ausgefragt“ werden („Verhörtechnik“), die Befragten antworten oft „sozial erwünscht“ – je heikler eine Frage ist, desto stärker ist der Effekt. Merkmale des Interviewers (z.B. Alter, Aussehen) oder die Erhebungssituation (Wahrung von Anonymität) können das Antwortverhalten beeinflussen.

          Passende Auswertungsmethoden

          Themenanalyse, Inhaltsanalyse, Dokumentarische Methode (DM), Rekonstruktiv- hermeneutische Methode

          Face-to-Face-Interview vs. Telefon- bzw. Videointerveiw

          Leitfadeninterviews können auch via Telefon oder Videocall geführt werden und haben in einigen Fällen durchaus ihre Berechtigung. Immerhin sind Interviewpartner_innen mitunter leichter verfügbar, Anfahrtszeiten entfallen und auch die Aufnahme und Dokumentation ist durch die Technisierung einfacher geworden. Trotzdem ist der Einsatz von Telefon- bzw. Videointerviews immer abzuwägen und sollte als mögliche Alternative (nicht als selbstverständlicher Ersatz!) und nur nach Absprache mit der/m Betreuer_in bzw. dem Forschungsteam eingesetzt werden, da eine ungezwungene und natürliche Gesprächssituation meist nur in face-to-face-Situationen zu erwarten ist. Natürliche, sprachliche und v.a. auch nonverbale Reaktionen werden z.B. durch eine technische bzw. strukturierte Vorgehensweise unterbunden, verfälscht oder sind für die/den Forscher_in nicht mehr zugänglich. Einander in die Augen zu schauen, als eines der zentralen Prinzipien der Aufrechterhaltung von Kommunikation und Herstellung von Rapport, ist online schlichtweg nicht möglich (die Gesprächspartner_innen schauen nämlich de facto in die Kamera und nicht direkt in die Augen des „Gegenübers“).

          Folgendes ist im Rahmen des Samplings, der Durchführung und Interpretation von Telefon- bzw. Videointerviews zu beachten:

          • Zu beachten ist insbesondere eine fehlende oder gestörte Interaktion, da nicht unmittelbar auf die gesamte Mimik, Gestik oder Raumsituation des Gegenübers reagiert werden kann.
          • Insbesondere vulnerable Zielgruppen können meist nicht mit online- bzw. digitalen Erhebungsmethoden erreicht werden.
          • Der technische Aspekt im Zuge der Vorbereitung und Durchführung ist nicht zu unterschätzen (z.B. technische Voraussetzungen und Equipment, barrierefreie (Aufnahme-)programme, Störungen durch schlechte Internetverbindung/ Bandbreite etc.)
          • Eingesetzte Programme müssen auch vor dem Hintergrund des Datenschutzes überprüft werden (DSGVO) Verweis zu Kapitel Interviewvorbereitung/ Einwilligungserklärung

           

          Weiterführende Literatur: Dröge, K. (2020). Qualitative Interviews am Telefon oder online durchführen. QUASUS. Qualitatives Methodenportal zur Qualitativen Sozial-, Unterrichts- und Schulforschung.
          Hanna, P., Mwale, S. (2017). I’m not with you, yet I am… virtual face-to-face interviews. In Braun V., Clarke V., Gray D. (Eds.). Collecting Qualitative Data: A Practical Guide to Textual, Media and Virtual Techniques. Cambridge University Press.
          Mirick, R. G., Wladkowski, S. P. (2019). Skype in Qualitative Interviews: Participant and Researcher Perspectives. The Qualitative Report. 24(12), 3061-3072.

          Ressource

          Kruse, J. (2015). Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2. Auflage. Beltz Juventa.

        • Befragung von Expert*innen zum Untersuchungsgegenstand. Der Expert*innenstatus ist in erster Linie abhängig vom Forschungsgegenstand und der sozialen Repräsentation.

          Es handelt sich um eine anwendungsfeldbezogene Variante von Leitfadeninterviews. Spezifikum ist die Zielgruppe: Expert_innen stehen somit nicht als ganze Person im Fokus des Forschungsinteresses, sondern sind Repräsentanten für Handlungs- und Sichtweisen einer bestimmten Expert_innengruppe. Expert_innen zeichnen sich durch ihre Fachkompetenz und nicht zwingend durch Führungskompetenz im jeweiligen Bereich des Forschungsinteresses aus, d.h. wenn man z.B. etwas über Personalentwicklung im Unternehmen wissen möchte, würde man z.B. externe Berater_innen im Bereich Personalentwicklung interviewen.

          s. Leitfaden-Interview: Die Strukturierung des Gesprächs erfolgt anhand eines Leitfadens. Die Fragen müssen offen, erzählgenerierend und hörer_innenorientiert formuliert sein.

          Je höher der soziale Rang, umso schwieriger ist der Zugang. Es ist immer von Zeitknappheit auszugehen. Dies bedeutet, dass die Recherche im Vorfeld von Expert_inneninterviews viel umfassender auszufallen hat als bei anderen Interviews. Im Interview sollte man sich nur auf die Fragen konzentrieren, die tatsächlich auf keinem anderen Wege zu klären sind als durch das Interview. Der/die Interviewer_in sollte sich entsprechend dem Forschungsinteresse positionieren (z.B. als vorinformierter Laie oder Co-Expert_in).

          Passende Auswertungsmethoden

          Themenanalyse, Inhaltsanalyse, Rekonstruktiv- hermeneutische Methode

        • Expert_inneninterviews sind tricky. Einen sehr guten Einblick gibt Debora Niermann:

        • Im Hauptteil des Interviews erzählt die Erzählperson aus dem Stegreif (Spontanerzählung). Erfragt werden Erzählungen erlebter Erfahrungen. Dabei wird Erzähltext produziert. Ein narratives Interview orientiert sich besonders stark am Gegenüber. Die Strukturierung durch die Forschenden ist sehr gering.

          Diese Interviewform wird ohne Leitfaden durchgeführt. Am Beginn wird eine offene Erzählaufforderung oder Einstiegsfrage gestellt, die ein spontane Erzählung hervorrufen soll. Dann folgen Nachfrage- und Bilanzierungsteile. Die Übergänge sind fließend.

          Die Erzählperson hat das monologische Rederecht, d.h. Interviewende halten sich zurück, sind nicht direktiv, nicht-gesprächsführend.

          Passende Auswertungsmethoden

          Dokumentarische Methode (DM), Rekonstruktiv- hermeneutische Methode

          Ein narratives Interview sollte nach Möglichkeit immer face-to-face stattfinden. Eine Durchführung über Telefon oder Videotelefonie ist bei dieser Methode nicht zu empfehlen. Der Rapport (Beziehungsaufbau zwischen Erzählperson und Interviewer) bzw. Mimik und Gestik, gelten insbesondere für diese Interviewform als sehr zentral, da längere Narrationen der Erzählerpersonen zu erwarten sind. Durch technische Probleme bzw. ein fehlendes Bild des Gegenübers könnte der Erzählfluss beeinträchtigt bzw. gehemmt werden.

          Ressource

          Schütze, F. (1983). Biographieforschung und narratives Interview. Neue Praxis, 13(3), 283-293.
          Helfferich, C. (2011). Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften