Leitfadenentwicklung
Die Entwicklung eines Interviewleitfadens als zirkulärer Prozess

Ausgangspunkt bei der Leitfadenentwicklung ist immer die Forschungsfrage und unsere Befragten. Wir formulieren Interviewfragen zu jenen Aspekten, über die wir etwas Neues erfahren wollen. (Exkurs: ZIRKULARITÄT DES FORSCHUNGSPROZESSES- Der Forschungsprozess in der qualitativen Sozialforschung ist zirkulär. Damit ist gemeint, dass eine bestimmte Folge von Forschungsschritten mehrmals durchlaufen wird, und der jeweils nächste Schritt von den Ergebnissen des jeweils vorherigen Schrittes abhängt. Es werden zunächst nur wenige nächste Schritte geplant, weil jeder der Forschungsschritte Konsequenzen nach vorne (für das weitere Vorgehen) und nach hinten (Modifikation der Fragestellung) haben kann. Das bedeutet, dass alle Entscheidungen (Erhebungsverfahren, Samplingentscheidungen, Auswertungsverfahren, etc.) vorläufig getroffen werden. Zu Beginn der Forschung liegt nur ein ungefähres Vorverständnis über den Forschungsgegenstand vor. Auf dieser Basis werden zunächst nur wenige nächste Schritte geplant.)

Bei der Beantwortung dieser Fragen produzieren die Befragten Text. Wir Forscher_innen analysieren und interpretieren diesen Text, um damit die Forschungsfrage zu beantworten.
Der Interviewleitfaden ist ein flexibles Instrument. Er gibt Orientierung bei der Interviewführung und berücksichtigt unterschiedliche Situationen. Zum Beispiel, wenn unser Gegenüber eher wenig oder viel redet.

Struktur eines Interviewleitfadens

Ein guter Leitfaden hat eine bestimmte Struktur. Ein guter Leitfaden besteht nicht aus einer einfachen Ansammlung an Fragen, sondern folgt einer bestimmten Struktur. Diese Struktur soll einem „natürlichen“ Erzählfluss folgen. Wir beginnen mit allgemeineren Fragen, und gehen dann weiter zu spezifischeren.

Flexibilität eines Interviewleitfadens

Auch wenn die Struktur eines Interviewleitfadens wesentlich, ist es dennoch wichtig, ihn als ein flexibles Instrument zu entwickeln und einzusetzen. Der Leitfaden gibt Orientierung bei der Interviewführung und berücksichtigt unterschiedliche Situationen. Zum Beispiel, wenn unser Gegenüber eher wenig oder viel redet.

Offenheit in einem Interviewleitfaden

Neben der Struktur des Leitfadens, muss auf jeden Fall auch das Prinzip der OFFENHEIT##i:offenheit## in der qualitativen Sozialforschung berücksichtigt werden.

Wir Forscher_innen müssen eine offene Haltung gegenüber dem Forschungsgegenstand einnehmen. D.h. wir dürfen in den Interviews nicht bereits zurechtgelegte Theorien und Hypothesen abfragen, sondern möglichst offen für neue Ideen und Aspekte unseres Themas sein. Es geht beim Leitfaden also darum, einen Kompromiss zu finden: Die Fragen sollen so offen und flexibel wie möglich sein, und so strukturiert wie aufgrund des Forschungsinteresses notwendig.

Eine mögliche Methode, um einen Leitfaden nach diesen Anforderungen zu erstellen, ist die Anwendung des SPSS-Prinzips.

Interviewvorbereitung
Grundlagen: Interviewvorbereitung

Bevor Sie mit Interviews losstarten können, drängen sich noch eine Reihe von Fragen auf:

  1. Wie komme ich eigentlich zu meiner/m Interviewpartner_in?
  2. Was muss ich im Vorfeld alles organisieren?
  3. Wie ist das eigentlich mit dem Datenschutz? Brauche ich überhaupt eine Einverständniserklärung? etc.
Grundlagen: Rekrutierungsstrategien

Es geht  in der qualitativen Sozialforschung immer um eine bestimmte Auswahl von Fällen. Dazu bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zur Rekrutierung von potentiellen Interviewpartner_innen an (vgl. Kruse, 2013; Przyborski, 2014):

Schneeballsystem: Es wird jemand angesprochen, der wiederum andere ansprechen soll, die wiederum andere ansprechen sollen etc., um jemanden zu finden, der im Hinblick auf die Sampling-Überlegungen passend sein könnte. Es ist jedoch zu beachten, dass mit dieser Strategie gewisse soziale Bereiche womöglich nicht erfasst werden können und es zu systematischen Verzerrungen kommen könnte.
Multiplikatoren / Gatekeeper: Es werden Multiplikatoren oder Gatekeeper ( „Türsteher“), d.h. Personen die über viele Kontakte bzw. ein großes Netzwerk verfügen, gebeten, passende Interviewpersonen in einer Institution/Organisation herauszufinden/anzusprechen. In der Regel wird diesen Personen vertraut und daher könne diese besser zur Teilnahme motivieren. Die Strategie ist jedoch nicht unproblematisch, da Gatekeeper oder Multiplikatoren natürlich auch eine Selektion vornehmen können, um z.B. ihr Unternehmen in ein besonders gutes Licht zu rücken.
Verschiedene direkte Recherchestrategien: 

Es werden über Telefonbuch, Internetpräsenzen (Websiten, Mailing-Listen, Foren), Anzeigen in Zeitschriften oder einschlägigen Foren, Pick-up (direktes Ansprechen vor Ort) passende Interviewpersonen gesucht.
Gestufte und kombinierte Verfahren: Es werden verschiedene Strategien gleichzeitig bzw. nacheinander verfolgt, um einerseits möglichst unterschiedliche Interviewpersonen zu erreichen (Heterogenität sichern) und um andererseits mögliche Verzerrungen durch einzelne Strategien auszugleichen.
Persönliche Kontakte: Bekannte oder befreundete Personen sollten nur in Ausnahmefällen rekrutiert werden, da aufgrund des Naheverhältnisses davon auszugehen ist, dass diese Interviewpartner_innen dem Verhältnis und gemeinsamen Erfahrungswissen entsprechend, angepasst antworten, d.h. z.B. einige Dinge nicht ansprechen, da sie als selbstverständlich angenommen werden. Zudem ist die Anonymität beeinträchtigt und auch bei der Interpretation ist man befangen. Ausnahmen wären z.B. Probeinterviews bzw. ein Pretest des Leitfadens. Befangenheit könnte u.U. auch reduziert werden, wenn jemand anderer im Forschungsteam die rekrutierte Person interviewen und die Interpretation vornehmen würde.

Grundlagen: Kontaktaufnahme

Die erste Kontaktaufnahme mit potenziellen Interviewpartner_innen

Durch die erste Kontaktaufnahme mit den potenziellen Interviewpartner_innen wird bereits die Basis für die soziale Beziehung im Interview aufgebaut. Diese beinhaltet daher nicht nur die Art der Festlegung der Kommunikation (telefonisch, schriftlich, persönlich), sondern auch erste Informationen über die Umwelt des sozialen Feldes, die einen wichtigen Bestandteil der Analyse des sozialen Systems der Befragten darstellen. Im Zuge der ersten Kontaktaufnahme sollte die kontaktierte Person jedenfalls über folgende Punkte informiert werden (vgl. Froschauer/Lueger, 2003; Przyborski, 2014):

  • Kurzvorstellung Ihrer Person bzw. Institution
  • Kurzvorstellung des Projekts (Ziel und Zweck der Untersuchung)
  • Warum wurde gerade diese Person ausgewählt/kontaktiert?
  • Welche Erwartungen hat man an die kontaktierte Person und inwiefern könnte die Untersuchung auch im Interesse der Person sein?
    • Zeitlicher Rahmen
    • Einverständnis bezüglich Aufnahme auf Tonträger
    • Zusicherung der Anonymität/ Datenschutz
    • Etwaige Incentives bzw. Feedback über Ergebnisse

Um eine mögliche Vorstrukturierung der Interviews zu vermeiden, empfiehlt es sich möglichst wenig über das persönliche Erkenntnisinteresse zu erzählen. Auch das Versenden des eigentlichen Leitfadens sollte nach Möglichkeit vermieden werden, da dies das Gespräch sehr beeinflussen und vorstrukturieren würde. Es empfiehlt sich, bei Nachfrage gewisse inhaltliche Themen bekanntzugeben und weniger konkrete Fragen preiszugeben.

Tipps & Tricks

Falls die Kontaktaufnahme per E-Mail erfolgt, hat es sich bewährt bei Zusage dem Antwortschreiben auch die Einverständniserklärung beizulegen. V.a. im Falle von telefonischen bzw. Online-/Interviews empfiehlt sich diese Vorgehensweise, da in diesem Fall der Versand UND die Retournierung der (unterschriebenen) Einverständniserklärung noch VOR dem eigentlichen Interviewtermin erfolgen sollte

Grundlagen: Einverständniserklärung

Informierte Einwilligung der Teilnehmenden: 

In der Regel ist im Zuge einer Forschungs- bzw. akademischen Abschlussarbeit immer eine informierte Einwilligung aller Teilnehmenden erforderlich. Dies sollte nach Möglichkeit, zur Absicherung aller Parteien, immer schriftlich erfolgen. In Ausnahme wäre auch eine mündliche Einwilligung denkbar, diese sollte jedoch audioaufgezeichnet werden.

Eine Einverständniserklärung sollte die folgenden Punkte enthalten:

  • Zweck des Interviews.
  • Kurze Beschreibung des Forschungsprojektes.
  • Hinweis, dass die Teilnahme freiwillig ist, verweigert werden kann bzw. jederzeit abgebrochen werden kann, ohne dass daraus Nachteile entstehen.
  • Informationen zu Datenschutz und Anonymisierung, z.B., dass
    • die Informationen vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben werden,
    • die Daten anonymisiert bzw. pseudonymisiert werden, dass keine Rückschlüsse auf die Person getroffen werden können
    • die Aufnahmen nach Beendigung des Forschungsprojektes/ der Qualifizierungsarbeit gelöscht werden (Achtung: an Hochschulen gelten u.U. individuelle Fristen für die Aufbewahrung der verwendeten Rohdaten für Abschlussarbeiten. Bitte erkundigen Sie sich diesbezüglich bei Ihrer/m Betreuer_in.)
    • auf die DSGVO hingewiesen wird und die Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann.

Einverständnis durch Unterschrift, dass das Interview aufgezeichnet werden darf, und erst danach aufnehmen!
Ein Muster für eine Einwilligungserklärung, die auch die zusätzlichen Anforderungen bez. der aktuellen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) enthält, finden Sie hier (Stand: Juli 2020).

Tipps & Tricks:

  • Einige Interviewpartner_innen stehen der Unterzeichnung einer Einverständniserklärung womöglich skeptisch gegenüber. Hier empfiehlt es sich besonders sensibel vorzugehen und die Inhalte der Einverständniserklärung gut zu erklären bzw. mit einfachen Worten zu „übersetzen“. Meist hilft es, zu verdeutlichen, dass es vorrangig um den Schutz der/des Interviewpartners/-in selbst geht, damit ihre/seine Daten ausschließlich im Rahmen des Projektes verwendet werden können und nicht weitergegeben werden dürfen. Es empfiehlt sich auch zu erklären, warum das Interview aufgezeichnet wird, z.B. „weil ich nicht so schnell alles mitschreiben kann und damit ich mich besser auf das Gespräch konzentrieren kann“ und nochmals zu betonen, dass keine Namen genannt werden und jederzeit abgebrochen werden kann.
  • Achten Sie auch darauf, dass Ihre Einverständniserklärung die wichtigsten Eckpunkte enthält (s.o.), aber trotzdem nicht zu lange wird (da dies auch abschreckend wirken könnte).
  • Nehmen Sie Einverständniserklärungen immer in doppelter Ausführung mit. Ein Exemplar sollte bei der/dem Interviewpartner_in bleiben.
  • Es empfiehlt sich auf die Einverständniserklärung auch Ihre Kontaktdaten zwecks Rückfragen und Erreichbarkeit nach dem Interview anzugeben. Alternativ kann auch ein Informationsschreiben (Studieninformation) beigelegt werden, in dem das Forschungsprojekt näher beschreiben wird und Ihre Kontaktdaten enthalten sind. Falls vorhanden, können Sie auch Ihre Visitenkarte beilegen.
Grundlagen: Setting und Räumlichkeiten

Mögliche Erhebungsorte: 

Im Zuge der Vorbereitung ist es auch wesentlich über den Interviewort nachzudenken, da je nach Ort evtl. auch unterschiedliche Vorkehrungen getroffen werden müssen. Es kommen z.B. folgende Möglichkeiten als Erhebungsort in Frage:

  • Privates Umfeld, z.B. Wohnung der/des Interviewpartnerin/-s
  • Institution, die für den Interviewten Bedeutung hat, z.B. Betrieb, Organisation, im dem/der die Person angestellt ist.
  • Institution, in der die/der Forscherin/-r beschäftigt ist, z.B. im Büro oder Seminarraum der Forschungsinstitution).
  • Öffentlicher Raum, z.B. im Park oder in einer stillen Ecke in einem Kaffeehaus (wobei dies aufgrund möglicher Geräuschkulissen immer mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Es ist daher auf eine gute Aufnahmequalität zu achten).
  • Privates Umfeld der/des Forscherin/-s.

Angenehmer Interviewort für Interviewpartner_in: Zentrales Auswahlkriterium bei der Bestimmung des Erhebungsortes ist die Berücksichtigung von Quantität und Qualität des zu erwartenden Gesprächs. Eine Grundvoraussetzung ist es daher, eine für die/den Interviewpartner_in möglichst angenehme und störungsfreie Umgebung zu suchen. Es empfiehlt sich daher den Erhebungsort schon im Vorfeld anzusprechen bzw. auch gezielt nach Präferenzen zu fragen. Je nach Forschungsfrage und Umstand können bestimmte Umgebungen Vor- oder Nachteile für das Gespräche mit sich bringen. Dies gilt es daher jeweils im Vorfeld individuell auszuloten.
Angenehme Atmosphäre schaffen: Um eine möglichst angenehme Atmosphäre zu schaffen, können auch dem Rahmen entsprechend Getränke oder Knabbereien/Snacks bereitgestellt werden. Wichtig ist es, der/dem Interviewpartner/-in seine ungeteilte Zuwendung und Aufmerksamkeit zu signalisieren. Dazu gehört auch entsprechend viel Zeit für das Interview anzuberaumen, d.h. auch, dass man auch nach dem Interview auch noch genügend Zeit einplant, um u.a. offene Fragen zu beantworten oder um sich notwendige Notizen zu machen. Grundsätzlich hat es sich bewährt den Interviewpartnern anzukündigen, dass Sie sich ca. eine Stunde Zeit nehmen sollen. Natürlich können Interviews, je nach Situation und Gegebenheit auch entsprechend kürzer oder länger dauern.

Tipps & Tricks:
Das Interview im gewohnten Umfeld der interviewten Person abzuhalten, kann auch den Vorteil haben, zusätzliche wichtige Einblicke in das Umfeld des Interviewten zu erhalten (z.B. kann man u.U. über gewisse Symbole, Gegenstände oder Verhaltensweisen auch etwas über das Betriebsklima erfahren). Diese Eindrücke sollten möglichst schriftlich festgehalten werden, da sie im Zuge der Datenauswertung und Interpretation relevant sein können.

Grundlagen Aufnahmetechnik:

Was ist bei der Aufnahme zu berücksichtigen?

In Methodenbüchern ist grundsätzlich sehr wenig Konkretes bzw. Aktuelles zur Aufnahmetechnik von Gesprächen zu finden. Es empfiehlt sich daher, sich auch über einschlägige Websiten über geeignete Aufnahmegeräte bzw. -technik zu informieren (z.B. https://www.audiotranskription.de/).

Gleichgültig, welche technische Lösung man wählt, ist auf Folgendes im Vorfeld zu beachten:

  • Eignet sich die Umgebung für eine gute Qualität der Aufzeichnung (stille Räume bevorzugen, Fenster und Türen schließen, potenzielle Lärmquellen ausschalten, Smartphones lautlos schalten)?
  • Aufnahmespektrum und Klangqualität des Geräts oder der Software im jeweiligen Setting/Raum vorab testen! Die Qualität muss jedenfalls so gut sein, dass das Gespräch im Anschluss wortwörtlich transkribiert werden kann. (Im Fall von Mehrpersonengesprächen kann der Einsatz eines zusätzlichen externen Mikrofons von Vorteil sein.)
  • Wird ein gängiges Speicherformat (MP3, MP4, WAV, WMA) je nach Transkriptionssoftware, die im Anschluss verwendet wird, angeboten?
  • Ausreichender Speicher muss je nach Speicherformat vorhanden sein!
  • Ausreichender Akku bzw. volle Batterien und Ersatzbatterien (beim Einsatz von älteren digitalen Aufnahmegeräten) bzw. ein Ersatzgerät soll bereitgestellt sein!
  • Ist das Aufnahmegerät richtig positioniert (das Mikrofon ist auf die/den Interviewpartner_in ausgerichtet und steht möglichst auf festem Untergrund)?
  • Ist man mit der Handhabung des Geräts bzw. der Software gut vertraut? Hier bietet es sich an im Vorfeld alle Funktionen zu testen. Es kann u.U. für den Gesprächsverlauf sehr störend und ablenkend sein, wenn der Fokus zu lange auf die Technik bzw. das Gerät gelenkt ist. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass das Gerät bzw. die Software auch tatsächlich das Gespräch durchgehend aufzeichnet.

Tipps & Tricks:

  • Falls Sie die Möglichkeit haben, sollten Sie Ihr Aufnahmegerät immer schon vorab im jeweiligen Setting/ Raum testen. Die Qualität der Aufnahme, kann z.B. durch eine schlechte Raumakustik mitunter sehr beeinträchtigt werden. Auch unmittelbar vor dem Interview sollte nochmals ein kurzer Test erfolgen.
  • Achten Sie auf mögliche Hintergrundgeräusche oder Geräusche, die das Gespräch überlagern könnten, d.h. es sollte möglichst nichts in der Nähe des Aufnahmegerätes platziert werden (z.B. Papierrascheln, Getränke, etc.) Beim Anbieten von Knabbereien ist außerdem darauf zu achten, dass diese auch störende Geräusche verursachen können (z.B. Chips)

Achtung!
Aufzeichnung von Online- oder Telefoninterviews:
Die Aufnahme eines Online-Interviews kann grundsätzlich über die im Zuge des Interviews benutzte Software erfolgen (z.B. Teams, Skype, Zoom). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von kostenlos zum Download verfügbaren Audio- (z.B. Audacity) bzw. Video-Recordern (z.B. Camtasia, OBS Studio, Camstudio). Es empfiehlt sich vor der Installation jeweils aktuelle Testberichte und Bewertungen zu lesen. Zusätzlich ist zu beachten, dass die verwendete Software auch der DSGVO entsprechen muss.

Die Aufnahme eines Telefongesprächs kann grundsätzlich über diverse Apps direkt über das Smartphone erfolgen, wobei jedoch rechtliche Aspekte (z.B. Einhaltung der DSGVO) und auch praktische Aspekte im Hinblick auf die Handhabung zu beachten sind. Wir raten daher grundsätzlich davon ab, Gespräche mit dem Smartphone aufzuzeichnen, da diese oft (über Apps) mit anderen z.B. Cloud-Diensten vernetzt sind und eine dementsprechende Gefahr besteht, dass die Daten nicht DSGVO-konform gespeichert werden bzw. für Dritte zugänglich sind.

Aktueller Stand:
Sowohl die technischen Möglichkeiten der Aufnahme als auch die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen einem stetigen Wandel. Bitte informieren Sie sich daher diesbezüglich immer über den aktuellen Stand bzw. halten Sie mit Ihrer Betreuung bzw. Forschungsteam Rücksprache.

Literatur

Froschauer, Ulrike/Lueger, Manfred (2003). Das qualitative Interview – zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien: WUV Universitätsverlag (UTB). 

Kruse, Jan (2004). Reader zum Seminar „Einführung in die qualitative Sozialforschung/Biografieforschung“. Freiburg: o.V. Online

Kruse, Jan (2020). Stichwortartikel zu Qualitative Rekrutierungsverfahren. In Friedrich Dorsch/Markus Antonius Wirtz/Hartmut O. Häcker/Kurt Stapf (Hrsg.). Dorsch – Lexikon der Psychologie (19., überarbeitete Auflage) Bern: Huber.

Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2014). Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch (4. Aufl.). München: Oldenbourg.

Interviewdurchführung
Do's and dont's Gesprächseinstieg

Stellen Sie ein gutes Gesprächsklima her:

  • Small Talk führen (ich habe gut hergefunden. Interessantes Gebäude, Gegend, … Interesse zeigen)
  • Aufwärmen; Beziehung aufbauen; aber Achtung nicht „verhabern“, sonst fehlende Distanz!
  • Stellen Sie Thema und Ziel der Arbeit vor (aber nicht zu viel verraten!)
  • Begründen Sie die Auswahl Ihrer Interviewpartner_innen:
  • Anzahl, Position, Tätigkeit, … (Warum gerade ich?)
  • Erklären Sie, was in dem Interview wichtig ist („Ihre Ansichten und Meinungen“)
  • Geben Sie die Interviewdauer an
  • Sichern Sie Anonymität zu
  • Erläutern Sie kurz die Einverständniserklärung und lassen Sie diese unterzeichnen
  • Starten Sie die Aufnahme
  • Geben Sie Ihrer/m Interviewpartner_in die Möglichkeit noch Fragen zu stellen.
Do's and dont's Gesprächsfluss
  • Paraphrasieren:  Formulieren Sie die vorangegangene Frage um, sodass der Inhalt aber gleich bleibt.
  • Halten Sie lange Pausen aus, um Antworten zu „erzwingen“.
  • Nachfragen: eventuell ist auch konkreteres Nachfragen erforderlich.
Do's and dont's flexible und offene Interviewführung
  • Versuchen Sie den Leitfaden „loszulassen“; besser: vor dem Interview gut verinnerlichen und nur zur Orientierung verwenden!
  • Versuchen Sie situativ auf Ihre/n Interviewpartner_in zu reagieren!
  • Stellen Sie keine Suggestivfragen; besser: viele Nachfragen vorbereiten/durchdenken um dann eine passende parat zu haben!
 
Do's and dont's
  • Nonverbale Signale beeinflussen das Gegenüber und den Gesprächsfluss, setzen Sie diese daher gezielt ein bzw. achten Sie auf Ihre Körpersprache!
  • Antworten, wie z.B. „Verstehe.“ „OK.“ „Aha.“ sind positive Signale und können immer eingesetzt werden.
Positive Signale
  • Körperliche Zuwendung (Sitzhaltung, Anordnung der Sessel)
  • Ruhige, nicht starre Körperhaltung
  • Blickkontakt
  • Freundlicher Tonfall
  • Gesten wie Zunicken, Zulächeln, „Ah ja“, „Mhm“
  • Ruhe vermitteln, Zeit haben, Pausen aushalten
    (verbal: Überleitungen, Aufgreifen)
Negative Signale
  • Sich körperlich abwenden
  • Motorische Unruhe, Ablenkung
  • Blickkontakt meiden oder abbrechen
  • Nicht freundlicher Tonfall, z.B. distanziert, überlegen, bewertend
  • Langeweile, Desinteresse, Zweifel zeigen, z.B. Augenbrauen hochziehen, Stirnrunzeln
  • „Tempo machen“, unterbrechen, auf die Uhr sehen
    (verbal: Abrupter Themenwechsel, Fragen nicht auf Befragte zuschneiden)
 
Do's and dont's Fragestile
  • Vermeiden Sie mehrere Fragen hintereinander zu formulieren bzw. mehrere Aspekte in eine Frage zu bringen
  • Formulieren Sie eindeutige Fragen!
  • Vermeiden Sie geschlossene (Ja/Nein-) Fragen!
  • Vermeiden Sie Suggestivfragen!
Do's and dont's Redefluss
  • Wenn die Interviewpartner_innen länger vom Thema abschweifen, höflich und wertschätzend unterbrechen und zur Frage zurückführen.
  • Pausen können ein Zeichen des Nachdenkens oder ein Zeichen von Unsicherheit sein, ob weitergesprochen werden soll. Längere Pausen „gewöhnen“ die Erzählperson daran, die Last der Erzählung allein zu tragen. Als Interviewende ist es daher wichtig, Pausen zu ertragen.
Do's and dont's Gesprächsabschluss
  • Stellen Sie Faktenabfragen, wie soziodemographische Daten der Interviewpartner_innen oder allgemeine Fragen zum Unternehmen besser ganz am Ende!
  • „Tür und Angel-Gespräche“ enthalten oft wichtige Daten für die Analyse und Interpretation. Halten Sie diese  unmittelbar nach dem Interview in einem Interviewprotokoll fest!
 
Tipps & Tricks

Was mache ich wenn...?

... das Aufnahmegerät nicht funktioniert?
Ich versuche diese Situation zu vermeiden, indem ich das Gerät am selben Tag teste und Ersatzbatterien/-akkus mitbringe. In seltenen Fällen, in denen das Gerät wirklich defekt ist, empfiehlt es sich nach Möglichkeit den Termin zu verschieben oder möglichst viel mitzuschreiben. Das Problem bei letzterer Variante ist, dass das Interview für die Analyse nicht ergiebig genug bzw. zu ungenau sein wird bzw. ich mich als Interviewer_in auch nicht gut auf das Gespräch konzentrieren kann, worunter generell die Qualität des Interviews leiden wird.
... das Interview unterbrochen wird (durch eintretende Personen, dringende Telefonate, Geräuschkulisse etc.)?
Ich pausiere entsprechend der Unterbrechung und versuche dann wieder auf die Fragestellung bzw. die Antwortpassage zurückzulenken.
... mein/e Interviewpartner_in sagt, dass er nicht aufgenommen werden möchte, aber trotzdem das Interview geben will?
Es empfiehlt sich möglichst viel mitzuschreiben. Das Problem dabei ist, dass das Interview für die Analyse nicht ergiebig genug bzw. zu ungenau sein wird bzw. ich mich als Interviewer_in auch nicht gut auf das Gespräch konzentrieren kann, worunter generell die Qualität des Interviews leiden wird. Dies ist bei der Interpretation zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich eine/n weitere/n Interviewpartner_in zu rekrutieren.
... mein/e Interviewpartner_in meine Frage nicht beantwortet?
Ich versuche zu reflektieren, woran dies liegen könnte (Tabuthema, Beisein anderer, Frageformulierung etc.) und versuche je nachdem die Frage (evtl. zu einem späteren Zeitpunkt) umzuformulieren bzw. mit anderen Worten nochmals zu stellen.
... mein/e Interviewpartner_in nur sehr kurze Antworten gibt bzw. nicht in den Redefluss kommt?
Ich prüfe in erster Linie meinen Fragestil und versuche eindeutige und kurze, aber dennoch offene Fragen zu formulieren. Evtl. handelt es sich auch um ein Tabuthema – es könnte sein, dass mein Interviewpartner_in dann etwas Zeit braucht, um sich zu öffnen. Hier gilt es eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und Interesse zu zeigen (Aktives Zuhören) und Pausen auszuhalten, auch wenn diese unangenehm scheinen.
... mein/e Interviewpartner_in Dinge anspricht, die ich eigentlich gerne an anderer Stelle/ in einem anderen Kontext abgefragt hätte?
Das ist durchaus oft der Fall und stellt kein Problem dar! Die Reihenfolge der Fragen ist nicht in Stein gemeißelt und ich sollte immer darauf gefasst sein, möglichst flexibel reagieren zu können. Ich akzeptiere das vorgegebene Thema und stelle dementsprechend meine Nachfragen, um das Thema bzw. die Frage auch genügend auszuschöpfen. Wichtig ist nur, dass ich am Ende alle Fragen bzw. Themen abgedeckt habe.
... alle Fragen schon in der Hälfte dafür vorgesehen Zeit beantwortet worden sind?
Es kommt durchaus vor, dass manche Interviews kürzer sind als andere, z.B. sind Telefoninterviews in der Regel kürzer als persönliche Interviews. Ich sollte dennoch reflektieren, woran dies liegen könnte und ob ich evtl. etwas an meinem Verhalten bzw. Fragestil verbessern könnte. Das Interview kann ich trotzdem verwerten. Zu beachten ist aber natürlich, dass es wahrscheinlich aufgrund der Kürze inhaltlich weniger ergiebig sein wird. Evtl. sollte ich noch eine/n zusätzliche/n Interviewpartner_in rekrutieren.
... mein/e InterviewpartnerIn mir Fragen zum Projekt stellt, anstatt meine Fragen zu beantworten?
Grundsätzlich gilt, dass ich jede Frage meiner/-s Interviewpartners/-in sehr ernst nehmen und so gut wie möglich beantworten sollte. Dies dient in erster Linie auch dazu, eine gute Beziehung herzustellen. In der Regel ist es aber so, dass diese Fragen zu Beginn, nachdem ich das Projekt nochmals beschrieben habe, gestellt werden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass ich vor Beginn des Interviews nochmals nachfrage, ob es noch Fragen gibt bevor wir mit dem Interview beginnen.
Auch unmittelbar nach dem Interview werden oft Fragen zum Projekt gestellt. Meistens geht es hier auch um die Verwertung bzw. die Veröffentlichung von Ergebnissen. Dazu sollte ich mir auf jeden Fall im Vorfeld Gedanken machen. Falls Fragen zum Projekt während des Interviews auftauchen, versuche ich diese, je nach Situation, entweder sehr kurz zu beantworten und wieder auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen oder ich notiere mir die Frage mit der Bemerkung, dass ich diese und andere Fragen gerne am Ende beantworten werde.
... mir mein/e InterviewpartnerIn z.B. vor oder nach dem Interview relevante Dinge erzählt, (aber das Aufnahmegerät nicht eingeschalten ist)?
Ich nehme mir unmittelbar nach dem Interview genügend Zeit, um alle Ihre Eindrücke und v.a. alles, das ich nicht aufgenommen habe, so gut wie möglich zu notieren (Interviewprotokoll). Diese Notizen werde ich dann im Rahmen der Analyse bzw. der Interpretation der Daten mit einbeziehen.

Literatur

Flick, Uwe (2016). Qualitative Sozialforschung: eine Einführung (7.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. 

Froschauer, Ulrike/Lueger, Manfred (2003). Das qualitative Interview – zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien: WUV Universitätsverlag (UTB). 

Helfferich, Cornelia (2011). Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2014). Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch (4. Aufl.). München: Oldenbourg.

Last modified: Thursday, 23 October 2025, 4:20 PM