Die Hypothese in der quantitativen Forschung
Wenn Ihre Forschungsfrage/n die Anwendung quantitativer Methoden erfordert/erfordern, so gilt es, neben der/den Forschungsfrage/n auch eine/mehrere Hypothese/n zu formulieren. Eine Hypothese (vom Griechischen bzw. Spätlateinischen hypothesis, wörtlich ‚Unterstellung‘) ist eine Vermutung, die für bestimmte Zwecke als wahr angenommen wird, bis sie erhärtet oder wiederlegt wird. Eine Hypothese ist also noch keine gesicherte Erklärung für einen beobachteten Sachverhalt, sondern eine vorläufige Aussage (Seiffert, 2003).
Neben der offenen Forschungsfrage geben Hypothesen einen konkreten Zusammenhang und oftmals auch eine Richtung vor. Dabei werden Hypothesen auf Basis von theoretischen und/oder empirischen Befunden aufgestellt (eine Entwicklung aus der eigenen "Intuition" heraus ist für eine wissenschaftliche Arbeit nicht ausreichend). Wissenschaftliche Hypothesen müssen bestimmten Kriterien genügen und lassen sich oft als Konditionalsatz formulieren (z.B. „wenn-dann“, „je-desto“) .
Kriterien wissenschaftlicher Hypothesen
- Falsifizierbarkeit: Es müssen Beobachtungen denkbar sein, die der Hypothese widersprechen.
- Widerspruchsfreiheit: Eindeutige, konsistente Aussagen sind enthalten.
- Nachvollziehbarkeit: Hypothesen müssen nachvollziehbar hergeleitet (begründet) werden aus theoretischen und/oder empirischen Befunden.
- Operationalisierbarkeit: Die Konstrukte müssen in Variablen übersetzt werden können.
- Sparsamkeit: Die Hypothese soll auf so einfache Art wie möglich formuliert sein und auf alle entbehrlichen Bestandteile verzichten ("Occam's Razor").
Es können grundsätzlich drei Arten von Hypothesen unterschieden werden:
Unterschiedshypothesen
Unterschiedshypothesen postulieren Unterschiede zwischen zwei oder mehreren Gruppen.
Beispiel: Mitarbeiter*innen in Teams mit hohem social support zeigen eine höhere Stressresilienz als Mitarbeiter*innen in Teams mit wenig social support.
Zusammenhangshypothesen
Zusammenhangshypothesen postulieren einen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Variablen. Hier wird entweder ein bidirektionaler Zusammenhang untersucht (bei dem sich zwei Variablen gegenseitig beeinflussen) oder ein direktionaler Effekt, d.h. Variable A ist der Prädikator (unabhängige Variable) und beeinflusst Variable B, das Kriterium bzw. die abhängige Variable.
Beispiel bidirektionale Hypothese: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Inklusion im Unternehmen und dem Job Commitment.
Beispiel direktionale Hypothese: Je höher Mitarbeiter*innen ihre Inklusion im Unternehmen wahrnehmen, desto höher ist ihr Commitment im Job.
Weiters können Zusammenhangshypothesen Moderatorvariablen enthalten, welche Bedingungen für die Stärke des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen abbilden (z.B. Die wahrgenommene Inklusion im Unternehmen hat einen positiven Effekt auf das Job Commitment und dieser Zusammenhang ist umso höher, je höher die intrinsische Motivation der Mitarbeiter*innen ist.). Mediatorvariablen beschreiben den Wirkungsmechanismus beim Einfluss einer Variablen auf eine andere genauer (z.B. Die wahrgenommene Inklusion im Unternehmen hat einen positiven Einfluss auf das Job Commitment und dieser Zusammenhang wird durch das Gefühl von sozialer Eingebundenheit vermittelt: Je höher die Inklusion desto höher die soziale Eingebundenheit, und je hoher die soziale Eingebundenheit desto höher das Commitment.).
Veränderungshypothesen
Veränderungshypothesen postulieren eine Veränderung einer Variablen über die Zeit bzw. einen Zusammenhang zwischen Variablen, der sich über die Zeit verändert.
Beispiel: Das Stresslevel ist unmittelbar nach einer Übung zum Stressabbau niedriger als es davor war.
Üblicherweise werden Hypothesen
gerichtet formuliert. Die
Richtung des postulierten Effekts spezifiziert Unterschiede und Zusammenhänge. Meist gibt man demnach an, ob man davon ausgeht, dass Gruppe A größer/kleiner ist als Gruppe B bzw. der Zusammenhang zwischen Variable A und B positiv oder negativ ist.
Bei Zusammenhangs- und Veränderungshypothesen wird meistens von einem linearen Zusammenhang ausgegangen, d.h. wenn die UV (z.B. Alter) um eine Einheit steigt oder sinkt, so steigt/sinkt die AV (Arbeitserfahrung) auch um eine Einheit, und das unabhängig der Höhe der Ausprägung der Variablen. Die Zusammenhänge können jedoch auch kurvilinear sein, sodass der Zusammenhang bei hohen/niedrigen Ausprägungen der UV stärker/schwächer wird. Z.B. ist es plausibel, dass Alter und Arbeitserfahrung einen kurvilinearen Zusammenhang haben, da der Zusammenhang ab dem Pensionsantrittsalter aufhört.
Quellenangabe:
Seiffert, Helmut. (2003). Einführung in die Wissenschaftstheorie (Bd. I, 12. Aufl.). München: C. H. Beck.